Das Gesicht | Novelle von Hermann Gilhaus

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Es war in einem verlorenen Bergdorf. Das lag zu Füßen eines großes Berges. In die Felsen hatte das Wetter ein menschliches Gesicht eingeätzt, und dieses Antlitz schaute weit hinaus über die Landschaft und wirkte durch seine riesigen Ausmaße streng und ernst.

In dem Dorf erzählte man sich: Eines Tage wird ein gütiger Mann kommen, der dem Felsengesicht Zug um Zug gleich, das Dorf zu Ansehen bringen wird und unvergesslich Gutes tut an alten, kranken und bedürftigen Menschen.

Und da war ein sechsjähriger Junge, der diese Geschichte hörte und nicht mehr aufhören konnte, darüber nachzusinnen, und seine Augen immer wieder zu dem großen Antlitz erhob. Er konnte es gar nicht verstehen, dass ein solch strenges Gesicht, welches ihm nicht gefallen wollte, einem so guten Mann gehören sollte. Er stand oft unter der Tür und besah sich den Felsen. Manchmal hielt er mitten in seinem Tun inne und schaute.

Allmählich lernte er das steinerne Gesicht mehr und mehr lieben, seine Augen fand er mild und seinen Mund freundlich. Und das dauerte manches Jahr, bis er endlich das Mannesalter erreicht hatte und eines Tages über den Dorfplatz ging und seine Nachbarn bei seinem Anblick in Bestürzung gerieten. Sie sahen, dass der Mann diesem Gesicht ähnlich und der Überlieferung entsprechend unvergleichlich wohltätig war. 

 

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