Aus dem Tagebuch eines Hundes 6 von 37 | Oskar Panizza

HTagebuch

Hundetagebuch

Jeden Tag schaue ich mir genau die Menschen an, mit denen ich es für die nächste Zeit doch wahrscheinlich zu tun haben werde. Schließlich sind sie noch das Interessanteste, was einem hier aufstößt. Über was ich mich noch immer über alle Maßen wundern muss, ist, dass ihnen, der durch ihre Häuser-Aufwürfe und Straßen-Ausschaufelungen scheinbar hochstehenden Spezies, die Begabung gegenseitiger Orientierung gänzlich abgeht. Ich meine die Möglichkeit, sich gegenseitig zu verstehen. Was soll dieses schreckliche Luft-Verpuffen in die Luft? Diese Zahn- und Schnalz-Geräusche? Diese vertrackten Gestikulationen? Welche mühselige Arbeit! – Sieht man zwei Hunden zu, die sich zufällig treffen und sich gegenseitig ausforschen, in wenigen Minuten ist alles getan. Wir wissen, er klagt über Frost, er hungert, er ist geschlagen worden, er hat eine weiche Seele, er ist trotzig, er ist mißtrauisch; der Hauch sagt uns alles; seine Seele liegt offen vor unserer Nase. Nun betrachte man aber zwei Menschen! Ja, wer das nicht gesehen, dem werde ich kaum einen Begriff geben. Dieses Embrassez! Dieser Aufwand von Geräuschen und Bewegungen! Meist, treffen sich zwei, nimmt der Eine ein Stück seines Kopfes ab, um es nach einiger Zeit wieder zu replazieren. Der andere Teil beantwortet dies mit einigen kuriosen Zuckungen im mehlgelben Gesicht. Und nun geht es an. Da ihnen das feinste aller Orientierungs-Organe, die Nase, fast abgeht, – ein kleiner höckriger Vorsprung ist alles, was sie davon besitzen, – so müssen sie zu Ersatz-Mitteln ihre Zuflucht nehmen. Zuckungen, Explosionen, Verrenkungen. Dies mitanzusehen, ist ein Schauspiel, wenn die Armseligkeit des Behelfs einen nicht so traurig stimmen würde. Erst zwickt der Eine den Mund wie einen Knopf zu; der Andere, als Beantwortung, tut dasselbe, oder fügt noch einige mäckernde Falten rechts und links hinzu; darauf, wieder der Erste, reißt das Maul auf, dass man tief drinnen die roten Häute sieht; dann werden wieder die Zähne in ungeheuer kleinen Zwischenpausen aufeinandergeschlagen, und gleichzeitig ertönen aus der Tiefe schnurrende, pfeifende, schnatternde, flötende, piepsende Geräusche; reichliche Triller mit hinein gemischt. Wir bellen ja auch. Gut! Aber wenn wir bellen, wissen wir warum. Wir sind zornig, oder freudig, oder empfinden einen plötzlichen Schmerz. Und damit ist die Skala bald erschöpft. Aber diese Menschen-Spezies hat die variiertesten und modifiziertesten Geräusche. Der Frosch, der Spatz, das Eichhorn, die Krähe, der Storch und der Wolf zusammengenommen könnten nicht die Summe jener Laute aufbringen, die die Menschen nötig haben, um sich zu fragen: Wie geht’s? Hast Du Hunger? – Ja, ich frage mich oft, ob alle diese Quatsch-und Fistel-Laute etwas zu bedeuten haben; ob diese Rasse trotz des kolossalen Aufwands schließlich weiß, was der Andere selbst denkt, und was er von ihm denkt! – Da kollert oft der Eine von ihnen mit aufgeblähten Backen und vorgetriebenen Augen ganze Rationen von Lauten heraus, förmliche Explosionen, gegen seinen Partner; dieser, als Antwort, lehnt sich zurück, und prustet gegen den Himmel hinauf im höchsten Diskant gehaltene und blitzschnell vorgestoßene Laut-Triller, förmliche Salven, wobei er wohl die Hände kreuzweis über den Bauch legt. Fortwährend natürlich gehen nebenher reichliche Zuckungen, Gestikulationen, Schnalzlaute (auch durch die Nase). Schließlich nimmt der Eine wieder ein Stück vom Kopf ab, der Andere reckt das Hinterteil naus, – und dann trennen sie sich. – Ob die was von einander wissen? – – Von der Beschaffenheit ihrer Seele? – Arme Spezies! –

Über Aventin

Von einem, der sich aufmachte Weisheit zu finden. - Fabeln - Novellen - Sagen - https://aventin.de
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