Aus dem Tagebuch eines Hundes 8 von 37 | Oskar Panizza

HTagebuch

Hundetagebuch

Heute furchtbar schlechtes Wetter; es regnete fast den ganzen Tag; ich und mein Herr tratschen stundenlang in den Straßen herum; eigentümlich, Regenwetter in der Stadt ist doch wieder ganz anders als auf dem Land. Dort, auf meinem kleinen Dörfchen, bleibt alles zu Haus; die Fenster werden geschlossen; im Zimmer entwickelt sich jene dumpfe, feucht-schwangere Luft, in der ich mich so wohl fühlte, und nach der ich mich so oft zurücksehne. Hier im Gegenteil reißt man die Fenster auf; die Menschen laufen zahlreich in der Straße herum, und alles friert und zittert wie ein Hund. Merkwürdig ist, dass diejenigen Menschen, die ich auf früheren Blättern als Bein-Verstecker bezeichnet habe, bei solchem Wetter einen Teil ihrer Beine zeigen, in dem sie die beweglichen, verschiebbaren Körperschichten in die Höhe heben. Und die Menschen, d.h. die eigentlichen Menschen, also diejenigen, die uns Hunden in besonderer Weise als Menschen imponieren, ich meine diejenigen, die vorzugsweise mit uns Hunden einen Kontrakt eingehen, gegen eine miserable Kost ihnen auf Schritt und Tritt zu folgen, also die Bein-Zeiger, also Leute, wie mein Herr einer ist, laufen dann in ziemlicher Menge hinter den Beinversteckern drein; wie mir scheint, um die seltene Gelegenheit zu benutzen, sich über Lage und Form der versteckten Glieder Aufklärung zu verschaffen. Und was hier zum Vorschein kommt, ist in der Tat bemerkenswert genug. Da gibt es ganz blaue Beine; rote und graue Beine; andere blendend weiß; wieder andere geringelt; in der Form meist zierlicher und variabler als die stockgeraden Beine der anderen Rassen-Hälfte; kegel-, gurken-, spindel-, wurst-, kürbisförmig; gestrichelt, getüpfelt, gesprenkelt, gefleckt. Mein Herr, mit anderen seines Schlags, ist einer der unermüdlichsten im Ausnützen solcher Gelegenheiten. Auffallend war mir, dass seine Miene, bei Ausübung solcher Pflicht, einen kalten, glasartigen Ausdruck annimmt. Jede Gestikulation schwindet. Ja, jedes Interesse für andere Dinge hat er dann verloren. Sogar für mich. So dass er mich oft verlor. Lief ich dann nach Hause, bekam ich später Hiebe, weil er den Vertrag gebrochen hatte. – Aber was soll das alles bedeuten? Ist das Ganze ein Witz? Oder ein Schauspiel? Eine gegenseitige Abmachung? Um mich zu ärgern, und mir Gelegenheit zum Nicht-Mehr-Nach-Hause-Kommen-Können, und somit zum Hieb-Erhalten zu geben? Was haben Regenwetter und Bein-Verstecker resp. Bein-Zeiger mit einander zu tun? Und warum stocken bei solchem Tripptrapp die Mund-Salven? Und zessieren die Gestikulationen? Lauter Fragen, für die ich mir keine plausible Antwort denken kann. Und ich muss sagen, diese Doppel-Rasse kommt mir als eine der tollsten unter den Tieren vor. – Eigentümlich bleibt, dass die Bein-Verstecker an jenen Teilen, die von den Blicken der Bein-Zeiger getroffen werden, die reichste, üppigste Entfaltung zeigen. Keine Schlange oder Eidechse dürfte sich mit diesem Farbenspiel messen können. Ziehen die glotzenden Glaskugeln der nachmarschierenden Bein-Zeiger etwa die Farben heraus? Ich meine, sind diese Farben dort drunten das Product des Glotzens? Weiter oben übrigens, ich meine, höher hinauf, kann ich fest versichern, nehmen die versteckten Beine eine meist eintönige, graulich oder gelbliche Farbe an. Einigemale traf ich rot oder schwarz. Und ferner: während der untere Teil der bei solchen Gelegenheiten von Seite der Bein-Verstecker sichtbaren Beine den oben geschilderten zierlichen Bau aufweist, wächst gegen oben hinauf zu, wie ich wiederum ausdrücklich versichern kann, alles ins Dicke, Wulstige, Elefantenmäßige. Ich betone diese Verhältnisse um so mehr, als ich der Einzige sein dürfte, der durch seine kleine Statur in der Lage war, Kenntnisse über diese hochgelegenen und versteckten Dinge zu erlangen. Denn weder Bein-Zeiger noch Bein-Verstecker können darüber – wenigstens nicht mit dem Gesichtsinne – orientiert sein. Erstere nicht, weil ihr Körper zu hochgewachsen, und der Kopf mit den Augen sich doch oben befindet; letztere nicht, weil ihr eigener Körper die Krümmung nicht zuläßt, die nötig wäre, um das Auge so tief zu bringen. Ich kleiner Hund weiß also mehr, als diese Menschen-Bajazzos über sich und ihre Partner in der gespielten Komödie entfernt wissen können! 

Über Aventin

Von einem, der sich aufmachte Weisheit zu finden. - Fabeln - Novellen - Sagen - https://aventin.de
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